Praxistest – das Solidarhotel
„Aus dieser Perspektive kann man sagen, dass ein Großteil der zeitgenössischen Entwicklungspsychologie die Wissenschaft des seltsamen Verhaltens von Kindern in seltsamen Situationen mit seltsamen Erwachsenen für die kürzest möglichen Zeiträume ist.“
(Bronfenbrenner, Urie 1977)
„… das Verständnis der menschlichen Entwicklung benötigt mehr als die direkte Beobachtung des Verhaltens von einem oder zwei Personen an der gleichen Stelle. Es bedarf der Untersuchung von Multipersonensystemen der Interaktion, die nicht auf ein einziges Setting beschränkt sind, und müssen Aspekte der Umwelt über die unmittelbare Situation hinaus, in der sich das Subjekt befindet, berücksichtigen.“
(Bronfenbrenner, Urie 1977)
Die Idee zu „Urlaub für Familien mit (autistischen) Kindern“ entstand aus der Erkenntnis, dass sowohl autistische Kinder als auch ihre Eltern unter hohem Stress leiden.
Da aber Entwicklung vor allem in einem entspannten Zustand stattfinden kann, lag es nahe eine Möglichkeit zu bieten, damit das ganze „System Familie“ entspannen kann.
Im „Goldenen Stern“ in Oberwarmensteinach/Fichtelgebirge (dem Solidarhotel) habe ich deshalb von 2017 – 2018 Urlaub für Familien auch und besonders mit autistischen Kindern angeboten.
In den 18 Monaten des Betriebs hatten wir über 300 Familien mit über 500 Kindern (davon ca. 50 autistische) zu Gast.
Dies bot die Möglichkeit
– viele autistische Kinder und Jugendliche des gesamten Spektrums
– sowie viele Kinder mit Handicaps
– jeweils über eine Woche (7 Übernachtungen – immer Sonntag bis Sonntag)
– in einer entspannten Umgebung
– zusammen mit Eltern und Geschwistern
– in der sozialen Interaktion mit uns und den anderen Gästen
– teilweise sogar bei zwei Aufenthalten bei uns
beobachten und gleichzeitig die Eltern beraten zu können.
Diese Zeit bot die Gelegenheit, die oft erstaunlichen Entwicklungsprozesse von vielen Kindern, nicht nur der autistischen, innerhalb einer entspannten Atmosphäre und durch die Möglichkeit der sozialen Interaktion, staunend zu beobachten.
Die entspannte Atmosphäre war vor allem darauf zurückzuführen, dass wir nur Familien mit Kindern als Gäste hatten, und die Toleranz gegenüber den Eigenarten der Kinder deshalb sehr hoch war. Durch die Anreise immer am Sonntag gab es während der Woche des Aufenthalts zudem keinen Wechsel unter den Gästen.
Viele Eltern äußerten die positive Verwunderung, welche Fortschritte ihre Kinder im sozialen, sprachlichen und motorischen Bereich innerhalb dieser einen Woche Urlaub gemacht hatten.
In jeder Woche haben wir zudem den Familien angeboten, eine nahegelegene Hundeschule einer Züchterin zu besuchen. Neben unserem eigenen Hund Krishna entstanden hier die Erfahrungen bezüglich der positiven Wirkung von Hunden auf autistische Kinder.
Die zwei Jahre Aufbau und Betrieb des Solidar Hotels hatten so tiefe Spuren hinterlassen, dass ich mich aus Rücksicht auf meine Gesundheit aus dem Projekt zurückziehen musste.
Aber die Erfahrungen dieser Zeit wirken bis heute nach – und bestätigen nicht nur die zugrundeliegende Theorie, sondern boten auch die Grundlage für wesentliche Erweiterungen.
Meinen Nachfolgern ist es leider nicht gelungen, das Projekt erfolgreich weiterzuführen. Schade.